Robert Enke nahm sich das Leben. Als man diese Schlagzeile las, ahnte man an diesem Abend kaum, welche Wellen der Emotionen und Trauer das auslösen wird. Gerade ist die öffentliche Trauerfeier zu Ende gegangen; sie muss würdevoll und bewegend gewesen sein. Angesehen habe ich sie nicht, denn es müsste eigentlich jeden Tag mindestens 20 solcher Feiern geben.
Meine erste von den vielen anderen abweichende Wahrnehmung konnte ich schon am Mittwoch erkennen. Dort stellte sich Teresa Enke dem medialen Wahnsinn und berichtete. Sie berichtete über Ängste, Zweifel, sie berichtete aus dem Leben, dem, was sie in den vergangenen sechs Jahren erlebt hatte. Für viele Kommentatoren war sie stark und man zollte ihr Respekt für diesen Auftritt. Den Respekt zolle ich ihr auch, aber ich denke, es war dieses Sich-der-Öffentlichkeit-Stellen was sie stark machte – sich endlich mitteilen zu können. Als selbst als Angehöriger vom Thema Depressionen Betroffener sehe ich offensichtlich einiges anders, als die breite Masse. Denn um den Tod ihres Mannes zu verkraften braucht die Witwe Teresa Enke viel Kraft, aber das überwiegt vermutlich nicht die Kraft und die Substanz die sie in all den Kämpfen, den Rückschlägen in den zurückliegenden Jahren benötigt hat, um ihrem Mann mit Liebe und Fürsorge immer wieder neu aufzurichten, ihm neue Kraft zu geben und neue Perspektiven mit ihm auszumalen. Die Hölle ist nicht der Abschied, die Hölle ist der Weg dorthin.
Und nun auf einmal schafft es ein Thema mal nach oben, was sonst ein Tabuthema aller erster Güte ist: Depressionen. Der Spiegel tituliert es als Volkskrankheit und das, was sich in den letzten Tagen bei all den Menschen an Betroffenheit zeigte kann, denke ich, nur mit dem Promibonus verstanden werden. Denn die Frage ist doch, wie reagiert ein Vorgesetzter im Februar kommenden Jahres, wenn ihm eine Mitarbeiterin anvertraut, dass sie sich kaum mehr wagt, das Haus zu verlassen, zusammenzuckt und Angstschweiß auf der Stirn stehen hat, wenn das Telefon klingelt. Wird er sich an Robert Enke erinnern und medizinische Hilfe organiseren oder es als Überarbeitung bzw. mit einem „die hat doch einen an der Klatsche, wusste ich schon immer“ als Spinnerei abtun. Und irgendwann nimmt sie sich dann wie wohl knapp 10.000 andere Menschen jedes Jahr das Leben. Die meisten Mitmenschen sind dann genauso vom Donner getroffen, wie jetzt bei Robert Enke einfach viel mehr, und verstehen es nicht. Aber ändern wird sich auch nichts.
Es sind jedoch diese kleinen, ganz seltenen Einblicke, die uns die Betroffenen geben, die uns alarmieren müssten. Doch für sowas haben wir einfach keine Zeit; so wie wir auch Zeit für mindestens täglich 20 solcher Trauerfeiern für die geschätzten 10.000 depressionsbedingten Suizide haben müssten, wenn wir sie genauso ernst nehmen würden; so wie die des Robert Enke. Bleibt also nur zu hoffen, dass bei all den jetzt betrübten Mitmenschen etwas mehr zurückbleibt, als nur das Unverständnis.